Unternehmens­steuern

Die Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft – Aktuelle Entwicklungen

Das OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS ist der Auffassung, dass die aktuell geltenden Steuersysteme einer fairen und wirksamen Besteuerung der wachsenden digitalisierten Wirtschaft nicht mehr Rechnung tragen. Daher sind Bestrebungen im Gange, den Marktstaaten neue Besteuerungsrechte einzuräumen und durch verschiedene neue Regelungen eine Mindestbesteuerung sicherzustellen. Die OECD hat diesbezüglich am 12. Oktober 2020 die Entwürfe resp. Blueprints betreffend ihr 2-Säulenkonzept (Pillar One und Two) zur öffentlichen Konsultation vorgelegt. Aufgrund der grossen Differenzen zwischen den Positionen der involvierten Staaten bleibt offen, ob man sich wie geplant bis Mitte 2021 einigen kann. Eine Nichteinigung würde aller Voraussicht nach die Weiterführung bereits bestehender bzw. die Einführung neuer unilateraler Massnahmen und als Folge davon Handelsstreitigkeiten bedeuten, was zu erhöhten Rechtsunsicherheiten für die Steuerpflichtigen und Doppelbesteuerungen führen würde.

Dieser Newsletter fasst das 2-Säulenkonzept der OECD sowie die wichtigsten Erkenntnisse und Fragen zusammen und wagt einen Ausblick.

Digital Economy – Die OECD publiziert die Blueprints zu ihrem 2-Säulenkonzept (Pillar One und Pillar Two) – ein Überblick sowie die wichtigsten Erkenntnisse und Fragen

Hintergrund und aktueller Stand

Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft, welche sich wegen der COVID-19-Krise noch beschleunigt hat, befürchten zahlreiche Staaten Steuerausfälle. Grund hierfür sind die geltenden Gewinnsteuervorschriften, welche an eine physische Präsenz in einem Staat anknüpfen. Da angesichts der Digitalisierung die physische Präsenz eines multinationalen Unternehmens – z.B. in der Form von Vertriebsgesellschaften – in den Marktstaaten reduziert oder gar aufgegeben wird, werden die heute bestehenden Regelungen zur Besteuerung der Gewinne multinational tätiger Konzerne nicht mehr als sachgerecht empfunden.

Am 12. Oktober 2020 hat die OECD nun ihre Blueprints zur Einführung neuer Regeln betreffend «digitaler» Nexus und Gewinnverteilung (Säule 1) sowie eines globalen Mindestbesteuerungsstandards (Säule 2) für multinationale Unternehmen zur öffentlichen Konsultation publiziert.

Das 2-Säulenkonzept der OECD

1) Pillar One (Säule 1)
Die erste Säule zielt darauf ab, denjenigen Staaten Besteuerungsrechte zuzuweisen, in denen multinationale Unternehmen entweder automatisierte digitale Dienstleistungen («automated digital services», Abk. «ADS») oder andere Leistungen an Konsumenten («counsumer facing businesses», Abk. «CFB») erbringen.

Die Zuweisung wird mittels des sog. Unified Approach anhand von drei Schlüsselkomponenten vorgenommen: Unabhängig davon, ob eine physische Präsenz besteht, wird kurz zusammengefasst ein Anteil des Residualgewinns eines multinationalen Konzerns mittels formelbasierter Gewinnaufteilung dem Markt- bzw. Nutzerstaat zugewiesen (Betrag A). Zudem wird eine fixe Vergütung für Routinefunktionen betreffend Marketing- und Vertriebsaktivitäten im Marktstaat festgelegt (Betrag B). Darüber hinaus sind Prozesse zur Verbesserung der Rechtssicherheit durch wirksame Mechanismen zur Verhütung und Beilegung von Streitigkeiten zwischen den involvierten Staaten vorgesehen.

Das neue Besteuerungsrecht auf dem Betrag A ist nur bei denjenigen multinationalen Unternehmen anwendbar, die den Aktivitätstest und den Schwellenwerttest erfüllen. Der Aktivitätstest setzt – wie bereits oben erwähnt – das Vorliegen von automatisierten digitalen Dienstleistungen (ADS) oder anderen Leistungen gegenüber Konsumenten (CFB) voraus. Zu ADS gehören beispielsweise Online-Werbedienste, Online-Suchmaschinen, Dienste für digitale Inhalte, Online-Glücksspiele und standardisierte Online-Lehrdienste sowie der Verkauf oder die sonstige Weiterverwendung von Benutzerdaten und der Online-Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Damit sollen Leistungen erfasst werden, wie sie z.B. von Google, Amazon, Facebook und Apple erbracht werden. Die Definition von CFB ist sehr breit gefasst. Unter diesen Begriff fallen Unternehmen, welche Güter oder Dienstleistungen an Konsumenten verkaufen. Darunter fällt auch der indirekte Verkauf durch Zwischenhändler oder Franchise- bzw. Lizenznehmer. Gewisse Industriezweige wie bspw. die Finanzdienstleistungs-, die Rohstoff-, die Luft- und Schifffahrtindustrie werden ausgenommen.

Der Schwellenwerttest wird mittels Überschreitens zweier Grenzwerte erfüllt. Dabei stehen die folgenden beiden Schwellenwerte zur Diskussion, wurden allerdings noch nicht definitiv beschlossen: Einerseits das Übersteigen des konsolidierten Umsatzes von EUR 750 Mio., andererseits das Erzielen von Umsätzen aus «in-scope activities» ausserhalb des Heimmarktes von mehr als EUR 250 Mio.

2) Pillar Two (Säule 2)
Die zweite Säule beinhaltet die Einführung von sich ergänzenden Regeln, die in ihrer Gesamtheit eine Mindestbesteuerung von multinationalen Konzernen sicherstellen sollen. Es werden Regeln festgelegt, die den Staaten das Recht auf überdachende Besteuerung einräumen, wo andere Staaten ihre primären Besteuerungsrechte nicht ausgeübt haben oder die vereinnahmten Gewinne allgemein einer niedrigen effektiven Besteuerung unterliegen.

Die Regeln umfassen insbesondere die Income Inclusion Rule (IIR) und subsidiär die Undertaxed Payment Rule (UTPR) sowie die Subject to tax rule (STTR) und Switch-over Klauseln. Über die Höhe der Mindestbesteuerung wurde noch keine Einigung erzielt, allerdings steht eine Mindestbesteuerung im Rahmen von 10%-12.5% zur Diskussion.

3) Wirkungsweise der beiden Säulen
Nach ersten Analysen der OECD würde die Einführung der ersten Säule eine bedeutende Umverteilung der Besteuerungsrechte in Höhe von etwa USD 100 Milliarden Gewinn unter den verschiedenen Jurisdiktionen bedeuten. Dies würde zu einem leichten Anstieg der weltweiten Steuereinnahmen führen. Im Vergleich dazu rechnet die OECD damit, dass die Massnahmen der zweiten Säule noch deutlicher zu einer Erhöhung der weltweiten Gewinnsteuereinnahmen beitragen werden. Insgesamt wird mit Steuermehreinnahmen von rund 4% des aktuellen Gewinnsteueraufkommens gerechnet. Die OECD geht davon aus, dass die Anreize der Gewinnverschiebung auf Niedrigsteuerländer verringert werden.

Die OECD ist überzeugt, dass die Vorschläge die Steuersicherheit erhöhen und die Effizienz der globalen Kapitalallokation steigern würden, indem sie die Bedeutung nichtsteuerlicher Faktoren (z.B. Infrastruktur, Bildungsniveau oder Arbeitskosten) bei Investitionsentscheidungen erhöhen. Auf jeden Fall werden die Vorschläge zu zusätzlichen Compliance- und Verwaltungskosten für multinationale Unternehmen und auch Steuerverwaltungen führen.

4) Wichtigste Fragen und Erkenntnisse
Auf Basis dieser Blueprints stellen sich für Steuerpflichtige folgende Fragen:

  • Bin ich als Steuerpflichtiger in der Schweiz betroffen?
  • Welche Umsatzschwellen werden (anfänglich) zur Anwendung kommen und welche (handelsrechtlichen/steuerrechtlichen) Grundlagen sind massgebend?
  • Welche digitalen Dienstleistungen sollen erfasst werden?
  • Welcher Anteil des Gewinns soll in den Marktstaaten versteuert werden und nach welcher Formel und auf Basis welcher Grundlage wird er verteilt?
  • Wie erfolgt die Besteuerung bei gleichzeitiger physischer Präsenz im Marktstaat (d.h. Anwendung bestehender Verrechnungspreisansätze)?
  • Wer muss die Steuer bezahlen und welcher Staat muss die Doppelbesteuerung beseitigen?
  • Wie hoch ist der angestrebte Mindeststeuersatz?

Es gilt festzuhalten, dass es innerhalb des OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS (noch) zu keiner Einigung betreffend die Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft gekommen ist und sich diese Fragen erst mit Sicherheit beantworten lassen, sobald die Entwürfe finalisiert sind.

Immerhin wird betont, die beiden Blueprints seien eine solide Basis für eine zukünftige Einigung.

Ausblick

Die öffentliche Konsultation läuft bis zum 14. Dezember 2020. Bis dahin werden die Interessenvertreter gebeten, ihre Stellungnahmen einzureichen. Ziel ist es, bis Mitte 2021 einen Konsens zwischen den 137 teilnehmenden Staaten zu erreichen, welcher auch die Abschaffung unkoordinierter unilateraler Massnahmen umfassen soll, die einzelne Staaten zwischenzeitlich eingeführt haben. Sollte dieses Ziel erreicht werden, ist mit einem Inkrafttreten in der Schweiz ab ca. 2025 zu rechnen, sofern kein Referendum ergriffen wird.

Die Europäische Kommission hat bereits angekündigt, ihren Vorschlag betreffend Einführung einer Digitalsteuer umzusetzen, sollte die OECD bis Mitte 2021 keine Einigung über die Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft erzielen. Die aktuellen Pläne der EU umfassen eine Digitalsteuer von 3% auf den Gesamtbruttoerträgen bei multinationalen Unternehmen, die innerhalb der EU und weltweit kumulativ bestimmte Umsatzschwellen (weltweit: EUR 750 Mio.; innerhalb der EU: EUR 50 Mio.) erreichen. Das Projekt ist jedoch auch unter den Mitgliedstaaten der EU sehr umstritten, weswegen im jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar ist, ob die EU sich zu einem Alleingang zusammenraufen könnte.

Auch das UN-Komitee hat einen Vorschlag erarbeitet, welcher in das UN Musterabkommen aufgenommen werden dürfte. Zur Debatte steht die Einführung einer Quellensteuer auf den Bruttoeinnahmen aus automatisierten digitalen Dienstleistungen, deren Höhe von den entsprechenden Staaten im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen bilateral vereinbart werden kann. Optional wird die Möglichkeit einer Nettobesteuerung auf qualifizierenden Gewinnen, welche aus digitalen Dienstleistungen resultieren, eingeräumt. Angesichts des aktuell laufenden OECD-Projekts erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der Entwurf bei Mitgliedern aus Industrieländern Anklang finden wird. Sollte allerdings das OECD-Projekt scheitern, wird der Druck seitens der Entwicklungs- und Schwellenländer, Gewinne aus der Erbringung automatisierter digitaler Dienstleistungen zu besteuern, weiterhin aufrecht erhalten bleiben. Der Verzicht eines Entwicklungs- oder Schwellenlands auf die Erhebung von Digitalsteuern dürfte von der Bereitschaft der jeweiligen Vertragsstaaten abhängig gemacht werden, das vom UN-Komitee vorgeschlagene neue Besteuerungsrecht anzuerkennen.

Tax Partner AG
Zürich, 11. November 2020

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