Dieser Artikel soll auf geplante und beschlossene Neuerungen bei der Verrechnungssteuer eingehen und diese kommentieren.
Geplante Änderungen bei der Schweizer Verrechnungssteuer
Die Verrechnungssteuer wird in der Schweiz seit dem 1. Januar 1944 als sogenannte Sicherungssteuer erhoben. Der Satz der Verrechnungssteuer, welche im Einführungsjahr nur auf Erträgen des beweglichen Vermögens sowie auf Lotteriegewinnen erhoben wurde, betrug zuerst 15% und wurde dann über die Jahre auf 35% angehoben (seit dem 1. Januar 1976), weltweit einer der höchsten Quellensteuersätze.
Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinszahlungen von inländischen Obligationen
Neben Dividenden unterliegen auch Zinsen von inländischen Obligationen der Verrechnungssteuer. Was unter einer Obligation zu verstehen ist, wird für die Verrechnungssteuer gesetzlich geregelt. Dieser für die Verrechnungssteuer massgebende Obligationenbegriff geht weiter als derjenige des Wertpapierrechts. Eine Obligation im Sinne des Verrechnungssteuergesetzes liegt bspw. auch dann vor, wenn ein inländischer Schuldner bei mehr als zehn Gläubigern gegen Ausgabe von Schuldanerkennungen Geld zu identischen Bedingungen aufnimmt, sofern die gesamte Kreditsumme dabei mindestens CHF 500’000 beträgt. Da die Verrechnungssteuer ein Hindernis für den Schweizer Kapitalmarkt darstellt, führt dies dazu, dass Schweizer Konzerne Obligationen in der Regel über eine ausländische Konzerngesellschaft emittieren, womit der Schweiz Wirtschaftssubstrat und damit auch Arbeitsplätze verloren gehen.
Der Bundesrat hat in den vergangenen Jahren mehrere (gescheiterte) Anläufe zu einer Reform der Verrechnungssteuer unternommen. Nun liegt eine aktuelle Vorlage auf dem Tisch, welche die Verrechnungssteuer auf Zinsen inländischer Obligationen abschaffen soll, um den Fremdkapitalmarkt in der Schweiz zu stärken.
Beschränkungen wie z.B. die Mittelverwendung von ausländischen Obligationen und Kreditverträgen, welche durch eine inländische Gesellschaft garantiert oder besichert werden, fallen somit weg. Dasselbe gilt für die Syndizierung von Kreditverträgen: Die «10 und 20 Nicht-Banken Regeln» werden ersatzlos gestrichen. Zinsen auf Kundenguthaben von inländischen natürlichen Personen bei inländischen Banken und Versicherungen bleiben weiterhin der Verrechnungssteuer unterstellt. Auf Kundenguthaben von ausländischen Personen, welche dem AIA unterstehen, würde indes ebenfalls keine Verrechnungssteuer mehr erhoben. Weitere Massnahmen zur Stärkung des Eigenkapitalmarktes, konkret, die Reduktion der Verrechnungssteuer auf Dividenden von 35% auf 15% wurden nicht in die Vorlage aufgenommen. Die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationszinsen würde ausschliesslich auf zukünftigen Neuemissionen Anwendung finden.
Wie geht es weiter? In der Zwischenzeit ist das Referendum gegen diese Gesetzesänderung zustande gekommen und über die Vorlage wird das Volk am 25. September 2022 abstimmen müssen. Es wäre zu begrüssen, würde die wirtschaftsfreundliche Vorlage mit einem JA belohnt. Sollte die Vorlage angenommen werden, darf mit einer Umsetzung per 1. Januar 2023 gerechnet werden.
Anpassungen beim Meldeverfahren im Konzernverhältnis (Verrechnungssteuer auf Dividenden)
Seit dem 1. Januar 2001 kennt die Schweiz das Meldeverfahren bei Dividendenausschüttungen im nationalen Konzernverhältnis. Ist eine Gesellschaft zu mindestens 20% am Kapital einer anderen Gesellschaft beteiligt, kann die Besteuerung an der Quelle durch eine Meldung ersetzt werden. Dies führt dazu, dass Dividenden ohne Abzug der Verrechnungssteuer ausgerichtet werden können. Per 1. Januar 2005 ist dieses Meldeverfahren auf Dividendenausschüttungen im grenzüberschreitenden Konzernverhältnis ausgedehnt worden. Zu diesem Zweck hat der Bundesrat am 22. Dezember 2004 die Verordnung über die Steuerentlastung schweizerischer Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen ausländischer Gesellschaften erlassen, welche das Verfahren für alle Partnerländer vereinheitlicht.
Im Vorfeld zur vom Bundesrat durchgeführten Vernehmlassung zur vorstehend dargestellten Reform der Verrechnungssteuer beantragte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) Anpassungen bei Konzerndividenden. Der Bundesrat hat das Anliegen geprüft und nach Durchführung einer Vernehmlassung die folgende Verordnungsänderung beschlossen.
Im nationalen Verhältnis wird die erforderliche Beteiligungsquote für das Meldeverfahren (von Dividenden und geldwerten Leistungen) auf neu 10% reduziert. Zudem steht das Meldeverfahren nicht nur den Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, kollektiven Kapitalanlagen und Gemeinwesen zu, sondern neu allen juristischen Personen als Inhaber einer Beteiligung von 10%.
Leider nach wie vor nicht möglich ist die Anwendung des Meldeverfahrens bei geldwerten Leistungen an eine Konzerngesellschaft, welche nicht direkt gehalten wird, z.B. an eine Grossmutter- oder Schwestergesellschaft.
Im internationalen Verhältnis ist die relevante Beteiligungsquote der ausländischen Gesellschaft bzw. Dividendenempfängerin für eine teilweise oder vollständige Entlastung von der Verrechnungssteuer weiterhin abhängig vom anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen. Falls in diesen Abkommen keine Mindestbeteiligung festgelegt ist, wird neu eine Mindestbeteiligungsquote von 10% zur Anwendung kommen (bisher 20%). Zudem ist das Meldeverfahren auch hier nicht mehr beschränkt auf Kapitalgesellschaften, sondern kann von allen «Gesellschaften» im Sinne des anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens oder anderen Staatsvertrags beansprucht werden.
Für die Anwendung des Meldeverfahrens im internationalen Verhältnis ist weiterhin im Vorfeld eine Bewilligung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) einzuholen. Im Rahmen der beschlossenen Anpassungen ist diese Bewilligung neu fünf Jahre gültig (bisher drei Jahre). Bei einer Veränderung in der Beteiligungsstruktur ist das Unternehmen weiterhin verpflichtet, dies sofort den Steuerbehörden mitzuteilen.
Die obigen Anpassungen werden am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die Verlängerung der Bewilligungsdauer und die Erweiterung des Meldeverfahrens im internationalen Verhältnis gilt ab dem Inkrafttreten für neu erteilte oder verlängerte Bewilligungen. Auf Gesuchen betreffend das nationale Meldeverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängig sind, ist gemäss den Übergangsbestimmungen das bisherige Recht anwendbar. Konkret heisst dies, dass z.B. die Verrechnungssteuer auf einer Dividende mit Fälligkeit 31. Dezember 2022, welche mit den amtlichen Formularen am 5. Januar 2023 gemeldet wird, das neue Recht gilt. Als Kriterium für die Anwendung des alten oder neuen Rechts soll somit das Datum der Einreichung des Antrags zur Meldung (Datum Poststempel) gelten.
Die beschlossenen Änderungen des Meldeverfahrens im Konzernverhältnis bringen somit wichtige und erfreuliche Erleichterungen mit sich.
Wechsel von der Direktbegünstigungs- zur Dreieckstheorie
Die ESTV folgt für die Bestimmung des Leistungsempfängers zwischen verbundenen, vom gleichen Aktionärskreis beherrschten Gesellschaften im Grundsatz der sogenannten Direktbegünstigungstheorie. Konkret heisst das, dass bei einem geldwerten Vorteil zwischen zwei Gesellschaften A und B, die vom gleichen Aktionär gehalten werden, der Vorteil direkt der empfangenden Gesellschaft und nicht dem Aktionär zugerechnet wird. Somit kann nur die empfangende Gesellschaft die Verrechnungssteuer zurückfordern. Das führt im internationalen Umfeld oft zu nachteiligen Folgen, da bei der Verrechnungssteuer auf geldwerten Leistungen üblicherweise der Portfoliosatz von 15% zur Anwendung kommt. Somit wird oft – auch bei Vorliegen von Doppelbesteuerungsabkommen – eine Doppelbesteuerung nicht vollständig verhindert und die Schweizer Verrechnungssteuer stellt im Umfang des nicht rückforderbaren Anteils eine zusätzliche finale Steuerbelastung dar.
Das Ausland wendet zumeist die Dreieckstheorie an, womit die Schweizerische Praxis international auf Unverständnis stösst. Darunter leidet die Attraktivität der Schweiz als internationaler Investitionsstandort, zumal zukünftig vermehrt mit Verrechnungspreisanpassungen gerechnet werden muss.
Der Bundesrat wurde daher mit der Motion Ettlin beauftragt, das Verrechnungssteuergesetz dahingehend zu ändern, dass die Dreieckstheorie ausnahmslos für die Bestimmung des Leistungsempfängers bei der Verrechnungssteuer zur Anwendung kommt. Dies mit der Begründung, dass der eigentliche Grund, warum eine Gesellschaft einer nahestehenden Gruppengesellschaft geldwerte Vorteile verschafft, nur in der aktienrechtlichen Verflechtung der betroffenen Gesellschaften, dem gemeinsamen Aktionär, liegt. Aufgrund des direkten Beteiligungsverhältnisses könnte mittels Anwendung der Dreieckstheorie aufgrund der meisten bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen eine residuale nicht rückforderbare Quellensteuer vermieden werden.
Die WAK-N hat an ihrer Sitzung vom 5. Mai 2022 die vom Ständerat am 13. Dezember 2021 angenommene Motion vorberaten. Sie beantragte mit 14 zu 11 Stimmen, die Motion abzulehnen. Die WAK-N erkannte jedoch die Bedeutung der Thematik und regte an, die Materie besser zu durchleuchten und die finanziellen Auswirkungen zu berechnen. Sie hat daher in der Folge ein entsprechendes Postulat lanciert, womit der Bundesrat beauftragt wird, einen Bericht zu den in der Motion erläuterten Zusammenhängen zu erstellen und insb. auch ein allfällige Missbrauchspotential darzulegen.
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